Lesedauer:
5 Minuten

Energie- und Alltagsmanagement mit Pacing

Veröffentlicht am
17.2.2024
Zuletzt bearbeitet am
16.8.2024

Den Alltag gestalten mit Fatigue? Fatigue gilt als eine der belastendsten Begleiterscheinungen von chronischen Erkrankungen. Bei Fatigue verschieben sich die Energiereserven und Belastungsgrenzen. Betroffene müssen sich selbst 'neu kennenlernen'.

Und hier setzt Pacing an: Pacing ist eine Technik zur Energieverwaltung und Aktivitätsplanung. Sie wird häufig bei chronischen Erkrankungen angewendet, wenn diese Erkrankungen mit Erschöpfung (Fatigue) oder chronischen Schmerzen einhergehen.

Beim Pacing sollen Aktivitäten und Ruhephasen sorgfältig ausbalanciert werden, um Überanstrengung zu vermeiden und die verfügbare Energie optimal zu nutzen. Ziel des Pacing ist es also, durch Planung und Schonung konsequent unterhalb der eigenen Belastungsgrenzen zu bleiben. Crashes (PEM) können so vermieden werden während bestmöglich am Leben teilgenommen werden kann.

Pacing wird eingesetzt, um Symptome zu managen, die Lebensqualität zu verbessern und langfristig die Belastbarkeit zu steigern, indem man lernt, innerhalb seiner energetischen Grenzen zu agieren.

Dieser Artikel beleuchtet Pacing als Strategie zum Energiemanagement bei chronischer Erschöpfung, der Myalgischen Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue Syndrom (ME/CFS) sowie Long Covid.

Warum ist Pacing wichtig?

Durch eine chronische Erkrankung kann sich die Normalität verändern. So können sich auch körperliche, kognitive und emotionale Belastungsgrenzen verschieben. Situationen, die vor der Erkrankung keine Probleme verursacht haben, sind mit der Erkrankung nicht handhabbar.

Chronischen Erkrankungen wie ME/CFS und Long Covid gehen häufig mit Energielimitationen einher, die Belastungsgrenzen verschieben. Werden diese Belastungsgrenzen überschritten, können Symptome wie schwerer Erschöpfung (Fatigue), Muskelschmerzen, kognitiven Problemen auftreten. Bei dem chronischen Fatigue Syndrom (auch chronic fatigue syndrom, ME/CFS) spricht man auch von Post-Exertioneller Malaise.

Crashes, auch post Exertional Malaise (PEM), führen zu einer raschen Verschlechterung von Symptomen. Sie können mit starken Einschränkungen in der kognitiven und physischen Leistungsfähigkeit einher gehen. Jeder Crash geht mit einer einem gesteigerten Risiko einher, dass sich die Erkrankung chronifiziert.

Medizinische Experten und die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS empfehlen die Pacing-Strategie. Diese hilft, Crashes zu verhindern und somit das Risiko einer Chronifizierung zu reduzieren.

Wie funktioniert Pacing?

Pacing ist eine aktive Selbstmanagement Strategie, die darauf abzielt verfügbare Energiereserven bestmöglich einzusetzen ohne dabei Belastungsgrenzen zu überschreiten. Im Gegensatz zum bloßen Ausruhen werden beim Pacing Aktivitäts- und Ruhephasen aktiv geplant und strukturiert - unter Berücksichtigung der individuellen Energiegrenzen [1]. Pacing ist eine Methode, den Alltag mit Fatigue zu gestalten.

1. Belastungsgrenzen kennen lernen

Wenn sich Energiereserven und Energiebedarfe mit einer Erkrankung verändern, müssen diese neu kennen gelernt werden. Hierbei ist es wichtig, nachsichtig mit sich selbst zu sein und bewusst darauf zu achten, wie anstrengend eine Aktivität empfunden wird.

Ein Toilettengang, eine einfache Unterhaltung oder die Nutzung des Smartphones können bei vielen Betroffenen bereits eine PEM auslösen. Bei anderen reicht allein schon das Aufrechtsitzen aus. Aber auch kognitive Reize wie zum Beispiel Licht oder Geräusche können Auslöser für die Symptome der PEM sein und somit eine Verringerung des Funktionsniveaus hervorrufen.

Wann die Überlastungsschwelle erreicht ist, ist bei jedem Betroffenen unterschiedlich. Auch können Belastungsgrenzen im Tagesverlauf und von Tag zu Tag schwanken, was das Identifizieren von Belastungsgrenzen erschwert.

Dennoch: Jeder Erkrankte muss im Rahmen des Pacings für sich persönlich herausfinden, welche Aktivitäten wann möglich sind. Dies umfasst die Aktivität selbst, aber auch die Intensität und Länge der körperlichen, kognitiven und/oder emotionalen Anstrengung.

Aufgrund der zeitlichen Verzögerung der Post-Exertionelle Malaise kann es sehr schwer sein, die Aktivitätsauslöser genau zu identifizieren. Die Nutzung eines Aktivitäten- und Symptomtagebuchs kann dir dabei helfen, Informationen zu sammeln und genau diese Aktivitätsauslöser zu identifizieren.

2. Aktivitäten und Ruhephasen planen

Neben dem Erkennen von Belastungsgrenzen und auslösenden Faktoren ist es wichtig, Aktivitäten- und Ruhezyklen aktiv zu planen, um Belastungs- und Ruhephasen in Balance zuhalten. Um möglichst bewusst am Alltag teilzunehmen können folgende Überlegungen helfen: ‍

Priorisieren: Was kann ich später erledigen und welche Aufgaben kann ich weglassen? Zum Beispiel kann man sich pro Tag ein Ziel setzen, welches man erledigen möchte. Die wichtigen Aufgaben werden dabei am Anfang der Woche und weniger wichtige Aufgaben am Ende der Woche eingeplant. ‍

Delegieren: Muss du wirklich alles selbst erledigen? Es gibt immer Aufgaben, die man ohne schlechtes Gewissen an seine Liebsten abgeben kann. ‍

Veränderung: Kann ich regelmäßige Aufgaben so verändern, dass sie mir leichter fallen? Leichte Veränderungen können bereits ihre Wirkung zeigen: z.B. Kochen oder Wäsche falten im Sitzen statt im Stehen.

Abwechslung: Kannst ich eine Tätigkeit auf zwei Tage verteilen? Wechsle zwischen körperlicher und kognitiver Anstrengung. ‍

Hinhören: Wie fühlt sich mein Körper an, in den Füßen, Beinen, im Bauch, den Armen und im Kopf?

Manchmal signalisiert dein Körper mit leichten Symptomen wie Halsschmerzen, dass sich ein Crash ankündigt. Höre auf die Informationen deines Körper und lege aktiv Ruhepausen ein. Auch wenn es dir manchmal schwer fällt - breche deine Tätigkeit sofort ab, sobald dir dein Körper signalisiert, dass sich ein Crash ankündigt. Stelle dir die oben genannten Fragen und handle entsprechend.

Welche Vorteile hat Pacing?

Aktuell (2024) ist Pacing die einzige empfohlene Strategie, um mit Fatigue umzugehen. Pacing hilft Menschen mit chronischen Erkrankungen oder Erschöpfungszuständen, ihre Energie besser zu managen und Überanstrengung zu vermeiden. Dadurch können die Anzahl und Schwere von Erschöpfungszuständen (Crashs) reduziert werden.

Stabilisierung des Gesundheitszustandes

Fatigue gilt als eines der belastendsten Symptome verschiedener Erkrankungen. Es kann sich sowohl in körperlicher, als auch in mentaler Erschöpfung äußern.

Pacing kann zur Stabilisierung der Fatigue beitragen und eine weitere Verschlechterung verhindern. Bei früher und konsequenter Anwendung steigt sogar die Chance auf Verbesserung oder vollständige Heilung. Wird Fatigue kontrolliert, kann dies positiven Einfluss auf andere Gesundheitsfaktoren sowie die Lebensqualität haben.

Kontrollgewinn

Pacing unterstützt Betroffene dabei, die individuellen Energiereserven neu kennen zu lernen und diese nicht zu überschreiten. Dadurch hilft es dabei, die Kontrolle über den eigenen Körper zurück zugewinnen. Dieser Kontrollgewinn kann sich positiv auf die psychische Verfassung auswirken. Er stützt die Akzeptanz für die aktuelle gesundheitliche Situation.

Kommunikation und soziale Bindungen

Kommunikation ist eines der Kernelemente des Pacings. Persönliche Grenzen müssen kommuniziert werden, auch Bitten um Hilfe kann notwendig sein.

In der Kommunikation und zwischenmenschlichen Interaktion dient Pacing dazu, Vertrauen und Rapport aufzubauen. Durch feinfühliges Angleichen an den Gesprächspartner kann eine positive Verbindung entstehen.

Pacing fördert das gegenseitige Verständnis. Durch eine offene Kommunikation trägt es dazu bei, die Perspektive des anderen einzunehmen und dessen Weltbild besser nachzuvollziehen.

Pacing birgt Vorteile im gesundheitlichen sowie im kommunikativen Bereich. Es kann  dazu beitragen, Crashes oder PEM zu vermeiden, den Gesundheitszustand zu verbessern und auch das Miteinander durch gute Kommunikation zu verbessern.

Pacing ist eine Strategie zum Selbstmanagement, die insbesondere bei chronischer Erschöpfung (Fatigue) und Long Covid angewendet wird. Pacing unterstützt dabei, Selbstbewusstsein und Selbstwirksamkeit bei der Überwachung des eigenen Gesundheitszustands zu stärken, um das Aktivitätsniveau entsprechend anzupassen.

Die wichtigsten Aspekte des Pacing sind:

  1. Lernen, innerhalb der persönlichen Energie-/Aktivitätsgrenzen zu bleiben, um eine Verschlimmerung der Symptome zu vermeiden. Dazu gehört die sorgfältige Überwachung des Aktivitätsniveaus und das Einlegen von Pausen, bevor der Punkt der Überanstrengung erreicht ist.
  2. Aufteilung der Aktivitäten in kleinere, überschaubare Teile und Abwechslung zwischen Aktivität und Ruhephasen. Auf diese Weise können die Betroffenen Aufgaben bewältigen und gleichzeitig Unwohlsein oder Abstürze nach der Anstrengung vermeiden.
  3. Beibehaltung eines gleichmäßigen, nachhaltigen Tempos anstelle von übertriebenen Aktivitäten, gefolgt von Ruhephasen. Das Pacing zielt darauf ab, die Symptome auf einem überschaubaren Niveau zu stabilisieren.

[1] Jamieson-Lega K, Berry R, Brown CA. Pacing: a concept analysis of the chronic pain intervention. Pain Res Manag. 2013 Jul-Aug;18(4):207-13. doi: 10.1155/2013/686179. Epub 2013 May 28. PMID: 23717825; PMCID: PMC3812193.

[2] Deutsche Gesellschaft für ME/CFS: https://www.mecfs.de/

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