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Wirksamkeit und Nebenwirkung von Medikamenten
Ein Medikament ist ein Mittel, welches der Heilung oder der Vorbeugung von Krankheiten dient. In einem Medikament sind chemische Wirkstoffe enthalten. Diese Wirkstoffe bringen neben der gewünschten Wirkung auch immer Nebenwirkungen mit. Vermutlich gibt es kein Medikament auf der Welt, welches keine Nebenwirkungen mit sich bringt. Damit ein Medikament auf dem Markt zugelassen wird, müssen jedoch sehr viele strenge Wirksamkeits- und Verträglichkeitsprüfungen durchgeführt werden, um eine optimale Risiko-Nutzen-Abwägung treffen zu können.
Nebenwirkungen der Covid-19 Impfung und die Verträglichkeit bei MS
Auch beim Covid-19-Impfstoff läuft dieser Prozess wie bei allen anderen Medikamenten ab. Bei der Risiko-Nutzen-Abwägung wird abgewogen, wie hoch das Risiko im Vergleich zur Wirksamkeit ist. Die bisher zugelassenen Impfstoffe von Biontech wurden in einer Studie an über 3,9 Millionen Probanden getestet, der Impfstoff von Moderna an 87.000 und der AstraZeneca Impfstoff an über 32.000 Probanden. Das Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinisches Arzneimittel hat am 04. Februar 2021 einen Sicherheitsbericht veröffentlicht und sich genau auf diese genannten Impfungen bezogen. Dabei wurde eine Melderate von Impfreaktionen von 1,9 auf 1000 Impfdosen gemeldet und "nur" 0,3 schwerwiegende Reaktionen pro 1000 Impfdosen.
Die häufigsten Nebenwirkungen waren mit 6-8 % Kopfschmerzen, ca 8 % Schmerzen an der Impfstelle, ca. 5-6 % Ermüdung, ca. 4,5-6 % Schmerzen in einer Extremität sowie ca. 4-7 % Fieber und Schüttelfrost. Die Risiko-Nutzen-Analyse steht demnach eindeutig pro Impfen, da das Risiko einer schwerwiegenden Nebenwirkung wie etwa einer allergischen Reaktion bei ca. 4-5 Fällen pro 1.000.000 Impfdosen bei Moderna & Biontech bei mehr als insgesamt 16 Millionen geimpften Personen in den US.
Insgesamt gibt es für die Allgemeinbevölkerung keine Sicherheitsbedenken bei der Corona-Impfung. Wer jedoch eine Vorerkrankung hat oder allergische Reaktionen bei Impfungen in der Vergangenheit hatte, sollte mit dem behandelnden Arzt/Ärztin die Impfung besprechen.
Was sind Totimpfstoffe und genbasierte Impfstoffe?
Ein Totimpfstoff enthält nur abgetötete Krankheitserreger, die sich nicht mehr vermehren können. Das körpereigene Abwehrsystem regt die Antikörperbildung im Körper an, da dieser die verabreichten Krankheitserreger erkennt und als fremd ansieht. Die Krankheit bricht nicht aus, weil die Erreger eben tot und nicht mehr vermehrungsfähig sind. Damit man jedoch keinen lebenslangen Schutz durch die Impfung erhält, muss die Impfung aufgefrischt werden. Die mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna sind sozusagen Totimpfstoffe, wobei der biochemische Mechanismus noch einmal komplexer ist. Diese Impfstoffe können das Erbgut NICHT verändern, obwohl sie eine spezifische Antwort der Immunzellen auslösen.
Kann die Covid Impfung einen neuen MS-Schub auslösen?
Laut der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft ist die Wahrscheinlichkeit, einen MS-Schub durch eine Totimpfung zu bekommen, extrem gering. Die mRNA Impfstoffe von Biontech/Pfizer, Moderna und Astrazeneca enthalten keine vermehrungsfähigen Bestandteile des Virus (im Gegensatz zu Lebendimpfstoffen). Lebendimpfstoffe könnte man kritischer betrachten, da die enthaltenen Wirkstoffe stärkere Immunreaktionen auslösen können.
Das Schubrisiko nach einer Infektion mit Covid-19 ist erhöht und im Gegensatz dazu ist das Schubrisiko nach einer Impfung gering. Da es zum heutigen Stand keine Erkenntnisse über den Einsatz von Covid-19-Imfstoff bei Patienten mit Autoimmunerkrankungen und/oder immunmodulierenden Therapien gibt, gelten die allgemeinen Erfahrungswerte von MS-Patienten. Eine Studie aus Israel mit 500 MS-Patienten mit dem Biontech Impfstoff zeigt, dass dort bisher keine unerwarteten Nebenwirkungen oder Aktivierung der MS aufgetaucht sind.
Insgesamt ist es allerdings noch zu früh, um abschließend eindeutige Empfehlungen zu geben, wobei die Tendenz ganz klar pro Impfen vs. Nicht-Impfen zeigt. Unter immunmodulierender Therapie sollte vermutlich keine Impfung stattfinden. Der individuelle Fall sollte dann aber mit dem
der behandelnden Ärzt:in besprochen werden.
Gibt es eine allgemeine Impfempfehlung für MS-Patienten:innen?
Aufgrund der fehlenden Datenlage lassen sich nur vorläufige Empfehlungen geben. Bei den mRNA-Impfstoffen (Moderna & Biontech) besteht nur ein sehr geringes mögliches Schubrisiko oder eine sehr geringe Auswirkung auf MS-Aktivitäten.
Der vektorbasierte Impfstoff AstraZeneca könnte möglicherweise Auswirkungen auf entzündliche Aktivitäten des Immunsystems bei autoimmunerkrankten Personen haben. In Zulassungsstudien des AstraZeneca Impfstoffes, sind Verdachtsfälle von Entzündungen des Rückenmarks aufgetreten.
Aber auch hier gibt es zu wenige Daten für abschließende und endgültige Bewertungen. Das Risiko, an Covid-19 zu erkranken mit den damit verbundenen Folgen wie eine mögliche Aktivierung einer MS ist höher als eine Verschlechterung durch die Impfung selbst. Während eines Schubes wird jedoch keine Impfung empfohlen und sollte daher vermieden werden.
Wie erfahre ich wann ich geimpft werde?
Grundsätzlich wird sich hier nach der "Coronavirus-Impfverordnung" vom Bundesgesundheitsministerium in der aktuellsten Version vom 08. Februar 2021 gehalten. Personengruppen werden in unterschiedliche Prioritäten unterteilt. Es gibt die höchste Priorität (z. B. Personen ab dem 80. Lebensjahr, Pflegepersonal aus Betreuung etc.), die hohe Priorität (z.B. Personen ab dem 70. Lebensjahr, Polizisten, Ordnungskräfte etc.) und die erhöhte Priorität (z. B. Personen ab dem 60. Lebensjahr, Autoimmunerkrankungen etc.). MS-Patienteninnen fallen in der Regel unter der dritten - nämlich der erhöhten Priorität. Im Einzelfall kann sogar bei MS-Patienteninnen mit einem höheren Infektionsrisiko eine spezifischere Einstufung erfolgen.
Das jeweilige Land wird sich bei dir mit einem Schreiben melden, in dem eine Nummer zur Terminvereinbarung steht. Dort kannst du dann anrufen und einen Termin vereinbaren. Wann genau du jedoch eine Einladung zum Impfen erhältst, hängt im Endeffekt davon ab, wann genügend Impfressourcen vorhanden sind.
Ist man als MS-Patient:in ein Risikopatient?
Als MS-Patient:in hat man grundsätzlich kein erhöhtes Risiko an Covid-19 zu erkranken. Nichtsdestotrotz gibt es Faktoren, die für ein erhöhtes Infektionsrisiko sorgen können. Dabei gibt es einige grundsätzliche Personengruppen - unabhängig ob mit oder ohne MS - welche ein erhöhtes Infektionsrisiko ausgesetzt sind; Bei Personen ab dem 60. Lebensjahr können mehr Komplikationen bei Atemwegserkrankungen entstehen, da das Immunsystem im Alter abnimmt. Personen mit einer eingeschränkten Mobilität, Menschen im Rollstuhl oder Menschen die bettlägrig sind, kann es sein, dass die Atemzüge weniger gut belüftet werden und somit ein höheres Risiko besteht.
Aber auch Personen, die eine Immuntherapie erhalten, sind einem höheren Risiko, sich an Covid-19 anzustecken, ausgesetzt.
WICHTIG: Individuelle Risiko-Nutzen-Analyse
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass man als MS-Patient:in ohne Immuntherapie per se keinem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt ist. Hat man jedoch Begleiterkrankungen, ein hohes Lebensalter, steht man unter einer akuten Schubtherapie etc. sollte man sich eines höheren Risikos bewusst sein. Da sich das Risiko auch bei jedemr MS-Patienten:in durch unterschiedliche Einnahme von Medikamenten unterscheiden, sollte mit dem behandelndem Arzt/Ärztin eine individuelle Risiko-Nutzen-Analyse erstellt werden, um sich für den passenden Impfstoff zu entscheiden.
Mittlerweile gibt es weitere Kenntnisse zur Impfung die du in unserem August 2021 Update nachlesen kannst.
Quellen
https://flexikon.doccheck.com/de/Medikament
Sicherheitsbericht des PEI v. 4.2.2021, Baden et al. Efficacy and Safety of the mRNA-1273 SARS-CoV-2 Vaccine. N Engl J Med. 2021 Feb 4;384(5):403-416. doi: 10.1056/NEJMoa2035389. Epub 2020 Dec 30. PMID: 33378609; PMCID: PMC7787219.
Empfehlungen der DMSG, gesichtet am 19.02.2021
Zettl, Beiträge in der DMSG-Verbandszeitschrift aktiv!, Ausgaben 03 und 04/2020
A large case-control study on vaccination as risk factor of multiple sclerosis. Hapfelmeier A, Gasperi C, Donnachie E and Hemmer B, Neurology, 2019 July 30, DOI: 10.1212/WNL.0000000000008012.
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Effect of ocrelizumab on vaccine responses in patients with multiple sclerosis: The VELOCE study. Bar-Or A, Calkwood JC, Chognot C, Evershed J, Fox EJ, Herman A, Manfrini M, McNamara J, Robertson DS, Stokmaier D, Wendt JK, Winthrop KL, Traboulsee A., Neurology, 2020 Oct 6;95(14):e1999-e2008. doi: 10.1212/WNL.0000000000010380
Randomized trial of vaccination in fingolimod-treated patients with multiple sclerosis. Kappos L, Mehling M, Arroyo R, Izquierdo G, Selmaj K, Curovic-Perisic V, Keil A, Bijarnia M, Singh A, von Rosenstiel P., Neurology, 2015 Mar 3;84(9):872-9. doi: 10.1212/WNL.0000000000001302
PM des KKNMS zu Impfungen bei Multipler Sklerose, Dezember 2020
Neurological immunotherapy in the era of COVID-19 — looking for consensus in the literature Korsukewitz C, Reddel SW, Bar-Or A, Wiendl H, Nat Rev Neurol, 2020 16, 493–505, doi.org/10.1038/s41582-020-0385-8
Bundesministerium für Gesundheit Verordnung zum Anspruch auf Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 (Coronavirus-Impfverordnung – CoronaImpfV) Vom 8. Februar 2021. Gesichtet am 19.02.2021
https://www.msges.at/news/corona-virus-und-multiple-sklerose/