Wenn körperliche und mentale Fatigue den Alltag dominieren, kann es mitunter ganz schön kompliziert und anstrengend werden den Alltag zu meistern. Doch was tun, wenn es dann auch mit der Arbeit nicht mehr so klappt? Sprech´ ich mit meinem:r Chef:in, sollte ich Stunden verringern, und was wenn ich garnicht mehr Arbeiten kann? Das kann ganz schön frustrierend und beängstigend sein! Deshalb wollen wir uns heute anschauen, welche Strategien helfen, was dir zusteht, und welche Institutionen Beihilfe leisten können.
Wenn Fatigue im Arbeitsalltag zum Problem wird
Wenn eine Ermüdung oder Erschöpfung körperlich, emotional und auch mental schwer ausgeprägt ist und über Wochen hinweg nicht durch Schlaf und Erholung ausgeglichen werden kann, leiden Patient:innen an chronischer Fatigue. Sie kann sowohl als eigenständige Krankheit auftreten, dann als chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) bekannt, ist aber auch eine der häufigsten Begleiterscheinung von langwierigen Krankheiten wie Multipler Sklerose, Rheuma, Long Covid und Tumorerkrankungen.
Sowohl die körperlichen als auch psychologischen Symptome können dabei den täglichen Alltag und somit auch das Arbeiten erschweren. So beeinträchtigen die ständige Erschöpfung und Schwächegefühle die Fähigkeit, körperlich anspruchsvoller Arbeit nachzukommen, während Konzentrationsstörungen, Antriebsschwäche und Müdigkeit der kognitiven Arbeit im Wege steht. Ganz abgesehen von den weiteren Symptomen die gegebenenfalls mit dem auslösenden Krankheitsbild und den damit zusammenhängenden Therapien einhergehen.
All das beeinflusst nicht nur wie viel und wie schnell Betroffene ihre Arbeit erledigen, sondern auch Präzision und Richtigkeit und damit einhergehen unter Umständen die Sicherheit der Betroffenen und Umstehenden. Das Gefühl der Überforderung kann in der Folge zu erhöhtem Stress und dadurch einer Zunahme der Fatigue führen – ein Teufelskreis!
Diese Situation ist für Betroffene sehr frustrierend und mitunter beängstigend. Das ist völlig normal und verständlich! Doch keine Sorge, es gibt eine Vielzahl an Strategien und Unterstützungsangebote von denn du Gebrauch machen kannst. Wir klären heute für dich die zwei größten Fragen, damit du proaktiv mit der Situation umgehen kannst. 1. Sollte ich mit meinem Arbeitgeber sprechen? Und 2. Welche Strategien kann ich selbst umsetzen? Außerdem zeigen wir dir in einem zweiten Beitrag, wie es mit Wiedereingliederung nach einer krankheitsbedingten Auszeit aussieht und welche finanzielle Unterstützung es gibt, wenn du gar nicht mehr arbeiten kannst.
1. Sollte ich mit meinem Arbeitgeber sprechen?
Fangen wir mit der Frage an, ob du deine Arbeitgeber einweihen solltest. Rechtlich gesehen ist Gesundheit Privatsache – du bist als Arbeitnehmer:in also nicht verpflichtet deine Vorgesetzten über deine Erkrankung zu informieren, vorausgesetzt du gefährdest dich oder andere dadurch nicht. Merkst du jedoch, dass dir deine Fatigue bei der Arbeit Schwierigkeiten bereitet und/oder du Änderungen in deiner Arbeitsweise durchführen möchtest, um mit deinen Symptomen besser arbeiten zu können, ist es empfehlenswert die offene Kommunikation zu suchen. Denn nur wenn dein:e Arbeitgeber:in deine gesundheitliche Situation nachvollziehen kann, kann er/sie auch offen für Änderungsvorschläge sein und dir entgegenkommen.
Tatsächlich konnten Studien zeigen, dass frühzeitige Kommunikation mit einem höheren Level an Arbeitserhalt assoziiert war. Auf der anderen Seite hatten Patient:innen die einen höheren Arbeitsdruck und weniger Anpassungsmaßnahmen am Arbeitsplatz erfuhren ein höheres Fatiguelevel zu verzeichnen. Und auch die Bewältigungsstrategie Probleme zu vermeiden, anstatt sie proaktiv anzugehen, hing mit mehr Fatigue in den Betroffenen zusammen. All das spricht dafür, das Gespräch aktiv zu suchen.
Wenn du dir dennoch Sorgen machst, ist es wichtig zu wissen, dass dein Arbeitgeber nach § 164 und 167 SGB IX gesetzlich dazu verpflichtet ist, Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Arbeitsunfähigkeit seiner Mitarbeiter zu beenden, weiterer Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen und den Arbeitsplatz zu erhalten. Zudem haben viele größere Unternehmen auch spezialisierte betriebliche Gesundheitsförderung und ein wirksames betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM), von dem du unter Umständen Gebrauch machen kannst.
Nichtsdestotrotz ist es natürlich verständlich, dass dir bei dem Gedanken etwas mulmig ist. Diese Situation ist hochindividuell und nur du kannst entscheiden, was der richtige Weg ist. Wenn du dir nicht sicher bist, ob es eine gute Idee ist, mit deinem:r Arbeitgeber:in zu sprechen, kann dir der Selbsttest Sag-ich’s weiterhelfen: https://sag-ichs.de/start. Er wird dir die Entscheidung nicht abnehmen, kann dir aber dabei helfen, deine Gedanken diesbezüglich zu sortieren und zu einer strukturierten Entscheidung zu kommen. Nimm dir hierfür einen ruhigen Moment, der Test dauert ca. 20 Minuten.
Ob du dich nun entscheidest deinen Vorgesetzten Bescheid zu sagen oder nicht – im nächsten Schritt wollen wir uns einigen Strategien widmen, mit denen du im Arbeitsalltag mit deiner Fatigue besser umgehen kannst.
2. Strategien im Arbeitsalltag
Viele der Prinzipien, die dir im Alltag helfen mit deiner Fatigue umzugehen, kannst du auch so oder so ähnlich am Arbeitsplatz anwenden. Schauen wir uns an, wie das klappen kann.
Vorausschauende Arbeitsplanung
Planung und Energiemanagement sind zentrale Prinzipien mit denen sich jede:r auseinandersetzen sollte, der/die von Fatigue betroffen sind. Hier geht es vor allem darum zu erkennen, was die wichtigsten Aufgaben sind und zu welchem Tageszeitpunkt du die meisten Energie und Konzentration aufbringen kannst. Plane dir zum Beispiel die wichtigsten, anspruchsvollsten Aufgaben für den Arbeitsbeginn oder direkt nach einer entspannten Mittagspause ein, wenn du dich noch recht frisch fühlst. Priorisiere deine Aufgaben außerdem, um Stress zu vermeiden und herauszufinden, was du effektiver zusammen abarbeiten oder gar an jemand anderes delegieren kannst. Zuletzt kann es in deiner Tagesplanung auch von Vorteil sein, gezielt Pausen einzuplanen. Auch hier kann das offene Gespräch mit dem Vorgesetzten und den Mitarbeitern hilfreich sein. Die Pausen kannst du nutzen um dich entweder etwas zu bewegen, etwas zu essen, oder vielleicht einen kleinen Power-nap einzubauen. Probieren ein bisschen herum und finde für dich selbst heraus, welche Struktur und Regenerationsstrategien dich am erfolgreichsten durch den Tag bringen.
Umfeld anpassen
Leidest du an Fatigue, ist dir sicher schon aufgefallen, wie sehr deine Umgebung deine Müdigkeit beeinflussen kann. Deswegen ist es von Vorteil, wenn du in einem störungsfreien Arbeitsklima arbeiten kannst. Vielleicht kannst du in eine ruhigere Ecke in deinem Büro umsiedeln oder einige Tage im Home-Office arbeiten? Auch hier kann dir die proaktive Kommunikation Türen öffnen, selbst wenn es nur die Bitte an die Kollegen ist dich in bestimmten Zeiten nicht zu unterbrechen oder nur durch Emails statt Anrufe mit dir in Kontakt zu treten. Darüber hinaus kannst du einige Hilfsmittel nutzen, um trotz deinen Symptomen effektiv zu arbeiten. Wende zum Beispiel Gedächtnishilfe wie To-do Listen und Post-it Notes an, um trotz Konzentrationsschwierigkeiten nichts zu vergessen und nutzte sprachaktivierte Programme zum Lesen und Schreiben, um körperliche Ermüdung entgegenzuwirken.
Stress reduzieren
Studien haben gezeigt, dass sowohl Stress durch deine Umgebung als auch selbstauferlegter Druck deine Fatigue negativ beeinflusst. Das gilt besonders wenn du das Gefühl hast, keine Kontrolle über die Situation zu haben und deine Probleme verinnerlichst, anstatt darüber zu reden. Dass offene Kommunikation und proaktives Coping helfen kann, haben wir bereits angesprochen. Außerdem kannst du aber auch von Entspannungsmethoden wie Meditation und Atemübungen sowie verhaltenstherapeutischen Herangehensweisen wie Aufmerksamkeits- oder Akzeptanzbasierten Übungen Gebrauch machen.
Einfluss deiner Lebensweise
Da deine Fatigue nicht nur auf deinen Arbeitsalltag beschränkt ist, ist es wichtig die besten Voraussetzungen für ein proaktives Fatiguemanagement in deinem allgemeinen Lebensstil zu schaffen. Die drei Hauptpfeiler sind dabei gutes Schlafmanagement, gesunde Ernährung und Bewegung, und soziale Unterstützung. Zu Ernährung, Schlaf und Bewegung findest du bereits Tipps in unserem Blog. Im Kontext deiner Arbeit ist zum Thema Schlaf noch hinzuzufügen, dass Routine enorm wichtig ist. Schichtarbeit oder gar Nachtschichten können dir hierbei Probleme bereiten. Auch hier wäre es eine Möglichkeit, mit deinen Vorgesetzten zu sprechen, um auf einen weniger variablen Arbeitsplan für dich umzusteigen. Das Gefühl der sozialen Unterstützung am Arbeitsplatz sowie Zuhause ist zudem mit einem geringeren Maß an Fatigue assoziiert – ein weiterer Vorteil einer proaktiven Herangehensweise.
Zu einer gesunden Lebensweise gehört natürlich auch, mit deinen anderen Begleiterscheinungen proaktiv umzugehen – vor allem wenn Fatigue ein Symptom einer anderen Krankheit wie Krebs oder Multiple Sklerose ist. Zum Beispiel Psychotherapie bei Depression, Physiotherapie um deinen Körper nach oder während einer Behandlung zu unterstützen, und ggf. medikamentöse Unterstützung. Sprich dafür mit deinem Arzt/ deiner Ärztin, um die beste Herangehensweise auszuloten.
Stunden anpassen oder Umschulung
Auch trotz den oben genannten Strategien kann es natürlich sein, dass die Erschöpfung einfach zu groß ist und du mit deinem Arbeitspensum überfordert bist oder die Sicherheitsmaßnahmen nicht mehr gewährleisten kannst. Fatigue ist hoch individuell und du bist mit diesen Problemen nicht allein! Ein erster Schritt kann es sein, deine Stundenzahl zu verringern damit du mehr Zeit zur Erholung hast. Auch ein Umstieg auf Gleitzeit könnte hilfreich sein, um besser auf deine Fatigue reagieren zu können. Ist dein Beruf zu anstrengend oder du hast Sicherheitsbedenken, ist eine Umschulung bzw. der Umstieg auf einen weniger anstrengenden Beruf eine Alternative. Hilfe findest du dafür neben der Bundesagentur für Arbeit auch bei einigen krankheitsassoziierten Beratungsstellen (z.B. Deutsche Krebsgesellschaft, Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft, Bundesverband ME/CFS) und Rehakliniken.
Zusammenfassung
Fatigue und Arbeit zu vereinen, kann ganzschön schwierig und frustrierend sein. Kleine Anpassungen in deinem Arbeitsalltag können dir helfen, deine Energie und Aufgaben zu managen und einer vorzeitigen Erwerbsunfähigkeit proaktiv entgegenzuwirken. Auch eine Stundenreduktion oder Umschulung kann hilfreich sein. Da soziale Unterstützung, geringerer Arbeitsdruck und mehr Anpassungen am Arbeitsplatz mit einem reduzierten Fatiguelevel zusammenhängen, empfehlen wir dir proaktiv das Gespräch mit deinen Vorgesetzten und Mitarbeiter:innen zu suchen. Wenn du dir dabei unsicher bist, haben wir dir einen Test sowie einige Beratungsstellen vorgestellt, die dir dabei helfen können.
Und denke immer daran: Du kannst nur geben, wenn es dir gut geht! Demnach trete lieber einen Schritt zurück und baue dir Arbeitskonditionen, in denen du gut funktionieren kannst, anstatt dich dauerhaft unter Druck zu setzen, deine Fatigue anzutreiben und bald gar nicht mehr arbeiten zu können.
Du schaffst das!
Schaue auch in unserem zweiten Beitrag „Arbeit und Fatigue Teil 2“ vorbei, in dem wir dir zeigen, von welchen gesetzlichen berufsfördernden und Wiedereinstiegsleistungen du Gebrauch machen kannst und welche finanzielle Unterstützung dir zustehen kann.
Quellen
- Berufliche Reha ist mehr als Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell (journalonko.de)
- Beruflicher Wiedereinstieg trotz Fatigue - Deutsche Fatigue Gesellschaft (deutsche-fatigue-gesellschaft.de)
- Berufliche Wiedereingliederung psychisch Kranker besser unterstützen - ZNS (zns-news-neurologen-psychiater-nervenaerzte.de)
- Berufliche Wiedereingliederung: Zurück nach Krankheit (transparent-beraten.de)
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- [Erwerbsminderungsrenten | Deutsche Rentenversicherung (deutsche-rentenversicherung.de)](https://www.deutsche-rentenversicherung.de/DRV/DE/Rente/Allgemeine-Informationen/Rentenarten-und-Leistungen/Erwerbsminderungsrente/erwerbsminderungsrente_node.html#:~:text=Was ist die Erwerbsminderungsrente%3F,das Sie selbst noch erzielen.)
- Fatigue - Wenn die Erschöpfung zur Krankheit wird (klinikkompass.com)
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- Was muss ich beachten, wenn ich krank bin und nicht arbeiten kann? – ver.di (verdi.de)